Friedensglocke vor Ukrainefahne

Glocke läutet für den Frieden in der Ukraine

Bild: © Hans Genthe / fundus-medien.de

Krieg in der Ukraine

Gerechter Friede durch militärische Gewalt?

Der russische Angriffskrieg gegen Ukraine hat unser Sicherheitsgefühl ins Wanken gebracht, schreibt Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm in einem Beitrag zur Friedensethik. Er entwickelt drei Aufgaben für die Zukunft und fragt nach der Rolle der Kirche.

Verteidigung mit Waffen ist moralisch legitim

Erstens: Es gibt wohl kaum jemanden, der von einem angegriffenen Volk verlangt, eine militärische Aggression ohne wirksame Gegenwehr hinzunehmen und damit unter der Besatzung des Aggressors zu leben. Angesichts eines brutalen Angriffs ist es moralisch legitim, sich zu verteidigen. Und das, wenn es die einzige wirksame Möglichkeit ist, auch mit Waffen. Dann ist es aber – so sehr das mit einem moralischen Dilemma verbunden ist - auch legitim, ein angegriffenes Volk unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in seiner Verteidigung zu unterstützen, wenn es keinen anderen wirksamen Weg gibt, auch durch Lieferung entsprechender Waffen. Wenn rechtserhaltende Gewalt ethisch legitim ist, und wenn der Friede wirklich ein gerechter Friede sein soll, dann kann ein möglicher Friede nicht auf der Akzeptanz der russischen Gebietsgewinne beruhen und damit letztlich die Verletzung des Völkerrechts belohnen.

Während die Kriterien für den Einsatz militärischer Gewalt in der evangelischen Friedensethik längst entwickelt waren, sind die Konsequenzen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine neu zu bedenken. Das erschütterte Vertrauen in eine russische Führung, die, wie nun offenbar geworden ist, das Instrument der Lüge zum Teil ihrer außenpolitischen Strategie gemacht hat, darf zwar nicht die Diplomatie als Mittel gewaltfreier Konfliktlösung unwiederbringlich diskreditieren, es verlangt aber die Absicherung diplomatischer Aktivitäten durch überzeugende sicherheitspolitische Handlungsmöglichkeiten. Dass das Sicherheitsbedürfnis von Staaten wie denen des Baltikums, auch durch militärische Verteidigungsfähigkeit, gewürdigt werden muss, ist ethisch nachvollziehbar. Die insbesondere in der ökumenischen Friedensethik stark gemachte „responsibility to prevent“, die mit guten Gründen der Gewaltfreiheit einen besonderen Rang einräumte, muss durch eine sicherheitspolitische Komponente ergänzt werden.

Frieden schaffen mit Waffen? Vortrag in derEvangelischen Stadtakademie am 24.Mai 2022

Abrüstungspolitische Strategien sind weiterhin nötig

Zweitens nimmt aber auch die neue Aufmerksamkeit für militärpolitische Komponenten der Friedenssicherung nichts weg von der Bedeutung abrüstungspolitischer Strategien. Gerade jetzt ist die Gefahr groß, dass durch die Ereignisse in der Ukraine eine Aufrüstungsspirale in Gang gesetzt wird, die keinerlei ethische Rechtfertigung hätte. Das gilt ganz sicher für den nuklearen Bereich. Bei je rund 6000 nuklearen Sprengköpfen sowohl auf Seiten des westlichen Bündnisses als auch auf Seiten Russlands gibt es auch nach dem Angriff auf die Ukraine keinerlei überzeugende Argumente gegen deutliche Abrüstungsschritte inklusive entsprechender einseitiger Schritte.

Aber auch für die Rüstungsetats der in der NATO zusammengeschlossenen Länder gilt diese Notwendigkeit und Möglichkeit zur Abrüstung. … Das deutet darauf hin, dass es bei der Reaktion des Westens auf den Angriff auf die Ukraine nicht um mehr Geld für Rüstung gehen darf, sondern um mehr friedens- und sicherheitspolitische Intelligenz gehen muss.

Die Unterfinanzierung ziviler Möglichkeiten, Leben zu retten, bleibt ein Skandal

Die Fragwürdigkeit der hohen Summen für militärische Mittel wird noch unterstrichen durch meine dritte Folgerung: Auch nach dem russischen Angriff auf die Ukraine bleibt die drastische Unterfinanzierung ziviler Möglichkeiten, menschliches Leben zu retten, ein moralischer Skandal. Noch immer sterben jeden Tag weltweit um die 20.000 Menschen, weil sie nicht genug Nahrung oder Medizin haben. Es ist schon jetzt zu beobachten, dass die Zahl nach Pandemie und Ukraine-Krieg sogar wieder wächst. ...

Schon allein, um zukünftigen gewaltsam ausgetragenen Konflikten präventiv zu  begegnen, muss die Absurdität der Ressourcenverteilung zwischen Aufwendungen für Rüstung und Aufwendungen für menschliche Entwicklung von den Kirchen wieder und wieder thematisiert werden. Nur so können sie der Grundüberzeugung gerecht werden, die für die biblische Sicht des Menschen leitend ist: Jeder Mensch ist geschaffen zum Bilde Gottes. Deswegen verdient jeder Mensch Schutz vor brutaler militärischer Gewalt. Aber nicht weniger verlässlich verdient er den Schutz seines Lebens durch die notwendigen Mittel zur Erfüllung seiner Grundbedürfnisse wie Nahrung und Medizin, um so ein Leben in Würde führen zu können.

Die Rolle der Kirche: Gebet für den Frieden

Die erste Aufgabe der Kirchen ist das Gebet für den Frieden. Die Kirchen sind der Ort, an dem Erschrecken über das Leid, das Menschen sich antun, Ratlosigkeit im Hinblick auf die Lösungswege und Hoffnung auf den Sieg des Lebens zum Ausdruck gebracht werden können. Wer Gott als Schöpfer und Erhalter der Welt bekennt, der wird auch das Gebet für den Frieden als aktive Friedensarbeit verstehen. ... So kann das Gebet auch als gelebter Widerstand gegen die Abstumpfung angesichts der Bilder von Krieg und Gewalt verstanden werden, die im Zeitalter der Massenmedien den Alltag begleiten.

Bewusstsein für Schuld und Vergebung

Einer der wesentlichsten Beiträge des christlichen Glaubens zur politischen Debatte  ist die Schärfung des Bewusstseins für Schuld und Vergebung. Jede Kriegsbegeisterung steht im Widerspruch zum Bekenntnis zu Jesus Christus. Die Zufügung von Leid, auch wenn sie zum Schutz des Rechts der Schwachen geschieht, bedeutet Schuld. Der Beitrag der Kirchen zur öffentlichen Debatte ist gerade in dieser Hinsicht unverzichtbar.

Kultur weltweiter Versöhnung und Konfliktprävention

Die Kirche muss in ihrem Innern die Institutionen stärken, die Kommunikation und Austausch zwischen ihren Gliedern aus unterschiedlichen Nationen und ethnischen Gruppen stärken. Ernstzunehmen, dass die Kirche Jesu Christi von ihrem ureigenen Grund her eine ökumenische Kirche ist, zählt zu den wichtigsten Beiträgen, die die Kirchen zu einer Kultur weltweiter Versöhnung und Konfliktprävention leisten können. Die ökumenische Dimension der Kirche muss deswegen aus ihrem Schattendasein im Bewusstsein der Gemeinden herauskommen und als zentrale Dimension von Kirche verstanden werden. Dann können auch ökumenische Mediationsversuche in zwischenstaatlichen Konflikten eine Kraft gewinnen, die zur politischen Lösung dieser Konflikte beizutragen vermag.

Weltweiter Akteur in der Zivilgesellschaft

Die vierte Aufgabe der Kirche liegt in ihrem Engagement als weltweiter Akteur in der Zivilgesellschaft. Unter den vielen Akteuren, die weltweit an den friedenspolitischen Aufgaben arbeiten, bildet die Kirche eine einzigartige Ressource. Die nötigen Prozesse des Umdenkens und die Entwicklung geeigneter institutioneller Instrumente zur Minimierung von Gewalt sind angewiesen auf Akteure, die nationale Grenzen überschreiten. Kirche ist ein weltweites Netzwerk mit universalem Horizont und lokaler Verwurzelung.

Sie ist die geborene öffentliche Anwältin für ein internationales Recht, das den Frieden zu fördern vermag, denn sie lebt in ihren unterschiedlichen nationalen Ausprägungen gemeinsam aus der Kraft Christi, von dem der Epheserbrief sagt: „Er ist unser Friede“ (Eph 2,14).

05.05.2023
Landesischof Heinrich Bedford-Strohm

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