Der Ausgleich der Interessen aller Lebewesen auf der Erde ist Maßstab und Ziel christlicher Gestaltung der Welt.
Bild: gettyimages/Liudmila Chernetska
Gott und Gerechtigkeit
"Gerecht muss es zugehen"
Menschen werden für ihre Arbeitsleistung sehr unterschiedlich bezahlt. Nicht wenige »systemrelevante« Angestellte wie Kassiererinnen und Krankenpfleger verdienen im Vergleich mit anderen eher wenig. Wenn auf die weltweite Verteilung von Einkommen und Reichtum gesehen wird, wird es noch deutlicher: Die Einkommensverteilung ist in den Ländern der Welt sehr ungleich. In Deutschland ist sie in den vergangenen beiden Jahrzehnten ganz besonders stark auch im weltweiten Vergleich auseinandergegangen: Die Reichen wurden noch reicher, und die Armen wurden noch ärmer. Die Organisation Oxfam veröffentlicht jedes Jahr den Weltungleichheitsbericht. Seit Jahren vergrößert sich die Lücke zwischen Arm und Reich weltweit. Konzerne und Superreiche erhöhen ihre Gewinne, indem sie Löhne drücken und Steuern vermeiden. Das reichste eine Prozent der Weltbevölkerung besitzt mehr Vermögen als der gesamte Rest der Weltbevölkerung zusammen.
Warum lässt Gott Ungerechtigkeit zu?
Für Kirche und Theologie ist die Frage nach dem gerechten Ausgleich in besonderer Weise sinnstiftend. Wenn Gott der Schöpfer ist, warum gibt es dann so viel Ungerechtigkeit in der Welt? Wie kann Gott mit dieser Ungerechtigkeit auf seiner Welt leben? Wenn Gott der gerechte, ausgleichende Stifter ist, warum gibt es dann so ungleiche Lebensverhältnisse in der Welt? Diese Fragen stellen Menschen zu allen Zeiten. Sie stellen sie aber besonders in diesen Krisenzeiten, in denen die Ordnung der Welt besonders strapaziert wird.
Wir Menschen sorgen für Ungerechtigkeit
Christinnen und Christen glauben an Gott als den Schöpfer, der die Welt gut und lebenswert geschaffen hat. Es lässt sich hier leben, und oft auch gut. Perfekt ist die Welt nicht. Und wohl und weise geordnet ist sie auch nur im Grundsatz. Für mich ist eines der schönen Bilder für diese Schöpfungsvorstellung der Bau eines neuen Hauses: Das Haus wird so errichtet, dass Menschen darin leben können. Wie sie das Haus einrichten und wie sie dort leben, entscheiden die Bewohnerinnen und Bewohner selber. Was in diesem Haus so passiert im Lauf der Jahre und Jahrhunderte, hat mit dem Ursprungsgedanken oft gar nicht mehr so viel zu tun. Häuser werden durch ihre Bewohner immer wieder umgebaut und umgestaltet. Menschen spielen also bei der Unordnung und Ungerechtigkeit des Weltgeschehens die entscheidende Rolle. Von nichts kommt auch nichts. Es sind schon wir Menschen, die für Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit sorgen.
"Den christlichen Glauben gibt es nicht ohne die tätige Nächstenliebe und ohne den Einsatz für die Gerechtigkeit aller Freundinnen und Freunde Gottes. Dieser Einsatz gilt weltweit in der einen Welt Gottes."
Landesbischof Christian Kopp
In der Bibel ist die Gerechtigkeit Gottes ein Leitmotiv. Biblisch unterscheidet sich das Gerechtigkeitsdenken aber von unserem sehr auf Ausgleich denkenden Gerechtigkeitsdenken fundamental: Gottes Gerechtigkeit zielt in der Bibel auf Beziehung. In Gemeinschaft wird der Mensch zum Menschen. In Beziehung ist es unsere Aufgabe, einander in unseren jeweiligen Bedürfnissen zu respektieren. Christinnen und Christen glauben an einen Gott, der in einzigartiger Weise die Freude und Fröhlichkeit in den Mittelpunkt des Glaubens gestellt hat. »Das Christentum ist eine einzigartige Religion der Freude«, sagt der Theologe Jürgen Moltmann. Auf das Kreuz von Golgatha folgt die Sonne der Auferstehung.
Die Gerechtigkeit, die bei Gott gilt, wird in Gottes Reich vollkommen sein. Wir leben aber – noch – in der Welt und auf dem Weg zu diesem Reich. Menschen leben als Freunde Gottes. Diese Freundschaft hat gute Zeiten, aber auch angespannte, lauere Zeiten. Wie es jede gute Freundschaft eben auch hat. Kennzeichen von guter Freundschaft ist das Eintreten für die anderen. Freundschaft gibt es nicht ohne tief empfundene Solidarität und ohne den Einsatz für meine Freundinnen und Freunde. Den christlichen Glauben gibt es darum auch nicht ohne die tätige Nächstenliebe und ohne den Einsatz für die Gerechtigkeit aller Freundinnen und Freunde Gottes. Dieser Einsatz gilt weltweit in der einen Welt Gottes.
Einsatz für die Gerechtigkeit
In der Geschichte der Kirche hat es darum zahlreiche Bewegungen gegeben, die die Ungleichheit der Verteilung der Güter und Lebenschancen zum Leitmotiv hatte. Zahllos sind Christinnen und Christen, die sich für die Bewahrung der Schöpfung und für Gerechtigkeit einsetzen. In Europa ist das erstaunliche aktive Engagement sehr vieler Jugendlicher und Erwachsener von Fridays for Future gegen den Klimawandel und die Zerstörung der Lebensgrundlagen auf der Erde Ausdruck des Willens, die Zerstörung der Welt nicht hinzunehmen. Dort engagieren sich auch viele Christinnen und Christen. »Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!« Die Jugendlichen sind überzeugt, dass eine andere und bessere Welt möglich ist. Aus der Perspektive der einen ganzen Welt werden zu dieser Klimabewegung kritische Stimmen laut. Sie sei eurozentristisch und von einem westlichen Weltbild geprägt. Die Zukunft – so wird kritisiert – werde dem globalen Süden schon seit Jahrhunderten geklaut, weil die Ressourcen auf der Erde sehr ungleich verteilt sind. Der Norden der Erdkugel beute Rohstoffe und Güter des Südens seit Jahrhunderten gezielt aus.
Für Christinnen und Christen bleibt es Auftrag Gottes und Aufgabe der Menschen, das Leben auf der Erde auf dem Weg ins Himmelreich möglichst freundschaftlich und umsichtig zu gestalten. Der Ausgleich der Interessen aller Lebewesen auf der Erde ist dabei Maßstab und Ziel.
25.10.2023
Landesbischof Christian Kopp