Hände halten ein Herz

Kinder- und Jugendarbeit samt Konfikursen sind Herzensthemen der Kirche.

Bild: gettyimages/SewcreamStudio

Christlicher Glaube 4.0.

"Menschen sind wichtiger als Steine"

Der christliche Glaube verdunstet, die Vermittlung in den Familien findet viel weniger statt.

Es gibt immer weniger Traditionen, die halten. Es gibt kaum noch Gelerntes, auf das ich aufbauen kann. Die Vermittlung der christlichen Glaubensgrundlagen lässt enorm nach. Wenn Sie sich vor Augen führen, dass der Mensch die wesentlichen Bausteine für das eigene Lebenshaus bis zum vierten Lebensjahr erwirbt, dann ist das auch nachvollziehbar. Wo sind die Mütter, Väter, Großväter und Großmütter, die biblische Geschichten erzählen? Die mit ihren Kleinkindern beten, singen? Die gibt es, aber das werden rasant weniger. In modernen Industriegesellschaften wie unserer trifft das übrigens auch andere Religionen. Der Islam in Deutschland hat sehr ähnliche Fragestellungen bei der Traditionsweitergabe wie wir Christinnen und Christen. Da gibt es noch mehr familiären Druck, aber auch das lässt erstaunlich stark nach.

Kirche 4.0 heißt für mich: Räume suchen und Räume öffnen, in denen sich der christliche Glaube entfalten kann. Wir haben in unserer bayrischen evangelischen Kirche vor Jahren einen Prozess gestartet, um profilierter und konzentrierter unseren christlichen Glauben zu leben und zu gestalten. Wir wollen eine Kirche 4.0 werden. Wir möchten die Kirche werden, die wir sind. Und die wir in dieser Zeit sein sollen und können. Nur steht uns einiges im Weg. Wir haben sehr viele Gebäude. Zu viele. Wir haben in den 70er Jahren sensationell reagiert auf den Zuzug von vielen Menschen aus östlichen Gebieten nach dem Zweiten Weltkrieg und auf die Babyboomer, die da geboren wurden – einer redet heute zu Ihnen. Das war toll. Kirchen sind entstanden. Gemeindehäuser. Pfarrhäuser. Wir aber werden weniger – wir müssen reduzieren. Das ist hart, das ist schwer, das ist im-mobil unbeweglich, aber nicht zu verhindern.

Ich setze mich ein für eine Kirche, die mutig ist und danach fragt, ob das, was sie tut, vor Ort wirklich gebraucht wird. Für eine Kirche, die offen ist für das, was um sie herum passiert und in sie hinein schwappt. Eine Kirche, die nicht mit sich selber fertig ist.

Landesbischof Christian Kopp

Menschen sind wichtiger als Steine. Was damals großartig war, ist heute an vielen Orten zu viel. Wir haben in Zukunft viel weniger Menschen, die unsere Arbeit machen. Das ist zwangsläufig, weil wir weniger Menschen sein werden, die erwerbstätig sind. Das hängt wieder mit den Babyboomern zusammen – da gab es enorm viele. Die zahlen heute noch – zumindest die meisten – einen Löwenanteil der Einkommen- und Lohnsteuern und damit auch einen großen Teil der Kirchensteuern. Wenn die alle in Ruhestand gehen, bekommen wir ein Finanzproblem in Deutschland und in der Kirche. Und vor allem ein Arbeitsproblem – denn weniger Personen müssen die Arbeit insgesamt machen. Das geht nur mit viel mehr Kommunikation, Koordination und Kooperation. Und das geht nur, indem wir profiliert und konzentriert unsere Aufgaben machen. Wir werden uns als bayrische Landeskirche von Arbeitsbereichen verabschieden. Wir werden deutliche Einsparungen vornehmen. Wir werden manche unserer Häuser schließen. Aber niemals werden wir unsere Aufgabe aufgeben. Die Zukunft wird eine Zukunft der Gemeinsamkeit und der gemeinsamen Verständigung in dieser Kirche für diese Gesellschaft.

Für diese Kirche setze ich mich ein…

Ich setze mich ein für eine Kirche, die sich zeigt. Die auch ihre Anliegen, ihre Sorgen, ihren Einsatz öffentlich macht – wo es nur geht.

Ich setze mich ein für eine Kirche, die die Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation zu ihrem Kernanliegen macht. In diesem Sinne für eine missionarische Kirche. Darum sind aus meiner Sicht die Fragen der kirchlich-diakonischen Kindertagesstätten, die Frage des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen und die komplette Kinder- und Jugendarbeit samt Konfikursen Herzensthemen dieser Kirche.

Ich setze mich ein für eine Kirche, die wegen der Themen der Zukunft ihre Raumwahrnehmung und Raumpräsenz verstärkt. Wir brauchen in Zukunft viel stärker ein kirchliches Netzwerk in der Region, wo die weniger werdenden Hauptamtlichen ergänzt durch viele Neben- und Ehrenamtlichen Funktionen für eine größere Region wahrnehmen.

Ich setze mich ein für einen veränderten Umgang mit den kirchlichen Immobilien. Wir müssen die Fragen der Gemeinde- und Pfarrhäuser für die Zukunft viel offener und intensiver diskutieren.

Und ich setze mich ein für eine noch vertieftere Unterstützung, Schulung und Ausbildung der Profis in unserer Kirche. Kirche wird sichtbar durch Personen. Diese Personen stützen. Stärken stärken. Leuchten lassen. Überall. Am Anfang, in der Mitte, am Ende des Berufslebens. Talente fördern und ausbilden.

Ich setze mich ein für eine Kirche, die mutig ist und danach fragt, ob das, was sie tut, vor Ort wirklich gebraucht wird. Für eine Kirche, die offen ist für das, was um sie herum passiert und in sie hinein schwappt. Eine Kirche, die nicht mit sich selber fertig ist. Ihre Grundbewegung ist, stets aufs Neue das Beste zu suchen. Eine fluide Kirche mit dynamischen Formen, die darum auch unzählige Optionen und Wandlungen in sich aufnehmen kann.

19.10.2023
Landesbischof Christian Kopp