Die Frage »wie gehen wir mit den Menschen um am Lebensende, was haben sie für einen Ort in unserer Gesellschaft?« ist Landesbischof Christian Kopp wichtig. Bei einem Besuch im Hospiz in Nürnberg-Mögeldorf suchte er auch das Gespräch mit Gästen des Hauses.
Bild: elkb/Thomas Tjiang
Landesbischof besucht Hospiz
Das Lebensende würdig gestalten
“Ich bin schon seit Ostern hier.“ Das Sprechen strengt die ältere Dame hörbar an. Ganz leise flüstert sie. Ihr Besucher, Landesbischof Christian Kopp, muss sich dicht zu ihr neigen. Flach liegt Dohle Maria Anna in ihrem Bett und blickt zur Decke. Sie spricht angestrengt, aber ihre Augen leuchten. Sie will sich unterhalten. Sie erzählt von ihrem früheren Viertel in Nürnberg, von den drei Kindern, die sie regelmäßig besuchen und ihren Computer zum Arbeiten mitbringen, um länger bei ihr zu sein. „Eigentlich geht es mir gut“, meint sie und blickt sich um. Wenn nur die Stimme nicht so schlimm wäre. Der Landesbischof hört zu, fragt nach, erzählt ein wenig von sich selbst. Über das Auf und Ab des Lebens reden sie und davon, wie sich die Zeit verändert hat. Schließlich spricht Christian Kopp noch ein Gebet. Die Frau wird ganz still.
Eine große Nähe
Es sind solche Momente, die den Landesbischof in seiner Arbeit erfüllen: Begegnungen mit Menschen, die am Ende des Lebens stehen oder die einen Menschen verloren haben. Begegnungen wie hier im Mathildenhaus, einem Hospiz der Diakonie in Mögeldorf. Tiefe Augenblicke des Kontakts und des Verstehens. „Im Gespräch miteinander kommt man Menschen so nahe. Da entsteht eine große Nähe zwischen Menschen, die sich gerade erst kennengelernt haben.“
„Ich halte die Bedeutung von Palliativmedizin und Hospizen in unserer Gesellschaft für immer noch zu wenig beachtet. Dort wird eine Arbeit gemacht, die sehr viel Leid und Schmerzen verhindert und einen würdevollen, selbstbestimmten Abschied in guter Umgebung ermöglicht.“
Landesbischof Christian Kopp
Dass die Fragen am Ende des Lebens tiefer und bohrender werden - das bestätigen auch Arzt und Pflegerinnen und Pfleger des Mathildenhauses bei einem offenen Gespräch mit dem Landesbischof und Christine Schürmann, Dekanin in Nürnberg. Früher seien Religionszugehörigkeit und Glaube zentrale Themen gewesen, berichtet eine Pflegerin. In den Gesprächen während der Pflege oder bei einer Tasse Kaffee hätte sie sich mit den Patientinnen und Patienten – im Hospiz Gäste genannt – früher oft darüber unterhalten. „Das hat sich deutlich verändert.“ Doch auch wenn der Glaube nicht mehrt das gleiche Gewicht hat wie früher – die Fragen haben sich im Kern nicht verändert: „Wie gehe ich mit dem Sterben um?“, „Was kommt? Wo geh ich hin? Was passiert? Wie geht das überhaupt: Sterben?“ Es sei „zutiefst menschlich“, sich damit zu beschäftigen.
Nicht nur die Gäste brauchen Zuwendung. Alle vier Monate veranstaltet das Hospiz eine Gedenkfeier für die Verstorbenen. „ Der Beistand, das Zusammensein in diesem Moment - für die, die kommen, ist das wichtig, enorm wichtig“, berichtet Pflegedienstleiterin Christine Lettau. “Die Angehörigen haben im Anschluss oft noch ganz viel Gesprächsbedarf.“ Oft säßen sie nach der Feier noch lange da und hörten einfach zu.
Wunsch nach Seelsorger oder Seelsorgerin
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Mathildenhaus haben sich bewusst für die Arbeit im Hospiz entschieden, um sich mit Menschen, die am Ende des Lebens stehen zu beschäftigen. Trotzdem sei es manchmal sehr herausfordernd für die Mitarbeitenden, betont Christine Lettau: Da sind die Gäste mit ihren Fragen, die Angehörigen und auch die ehrenamtlichen Hospizhelferinnen und Hospizhelfer. Deren Einsatz sei großartig, aber auch sie bräuchten Ansprache und Begleitung. Für die Pflegekräfte, die keine seelsorgerliche Ausbildung hätten, ist dies zusätzlich zu ihrer eigentlichen Aufgabe kaum zu leisten – da sind sich Pflegerinnen und Pfleger und der Arzt Dr. Christian Guthmann einig. Es bräuchte einen hauptamtlichen Seelsorger /eine Seelsorgerin, der kontinuierlich ansprechbar sei.
„Wir bekommen viel zurück. Wir gehen oft gestärkt aus dem Besuch bei unseren Gästen heraus und sehen wieder, was im Leben wirklich wichtig ist. Trotzdem müssen die Rahmenbedingungen stimmen.“
Dr. Christian Guthmann
Von medizinischer und pflegerischer Seite würden die Gäste sehr gut betreut, präzisiert Guthmann. Aber ihnen allen sei eine ganzheitliche Begleitung sehr wichtig. Ein großes Anliegen sei dabei die Spiritualität. „Und da sind die Pflege und auch wir Ärzte überfordert.“ „Ich bin eine ausgebildete Krankenschwester“, erzählt Lettau. Natürlich habe sie sich im Hospiz mit dem Thema Seelsorge bei Sterbenden auseinandergesetzt. „Aber das ist nicht meine Kernkompetenz.“ Manche Fragen würde sie einfach gerne an eine andere Stelle abgeben.
Kopp: "Ich bin um jeden froh, der bei uns Mitglied ist"
Solche Wünsche sind dem Landesbischof gut bekannt und er würde sie nur zu gerne erfüllen. Gerade in einer Einrichtung, in der er so ein menschenfreundliches, respektvolles Klima erlebt, wie im Mathildenhaus. Gleichzeitig weiß er, wie knapp Geld und Stellen in der bayerischen Landeskirche sind. „Ich bin um jeden froh, der bei uns Mitglied ist, denn die Mitglieder tragen unsere Arbeit.“ Aber das werde immer poröser.
Dabei müsse man der Frage „ wie gehen wir mit den Menschen um am Lebensende, was haben sie für einen Ort in unserer Gesellschaft?“, besonders viel Aufmerksamkeit schenken - gerade, weil die Gesellschaft weniger nach der Fürsorge für andere und nach sozialem Engagement frage als nach der Fürsorge für sich selbst.
Unter den rasant sinkenden Mitgliederzahlen der Kirche leiden unter anderem die Mitarbeitenden im Mathildenhaus. Das erfährt auch Dekanin Christine Schürmann, die regelmäßig dort ein und aus geht. Gemeinsam mit Pflegerinnen und Pfleger hat sie in einer Ritualgruppe eine Aussegnung entwickelt, die diese dann auch selbst ohne Pfarrerin und Pfarrer übernehmen können. „Ich staune da immer wieder“, betont Christine Schürmann. „Ich finde, es ist großartig, wie Sie sich einbringen.“ Für manche Angehörigen sei diese Aussegnung „unglaublich wichtig“, erzählen die Pflegerinnen und Pfleger. Zum Teil viel wichtiger als für die Gäste. Mit der Arbeitshilfe der Ritualgruppe hätte er vor einiger Zeit eine schöne Aussegnung machen können, berichtet ein Pfleger. Allein. Weil er merkt, dass es den Angehörigen guttut.
Das Lebensende hat viele Facetten
Im Hospiz gehe es um das Leben, betont Christine Lettau. Darum, das Lebensende zu gestalten. „Und das hat so viele Facetten“. Es sei so individuell, was der Einzelne brauche. Oft werde das gar nicht ausgesprochen. Es brauche das „Hinspüren zum Gast“, damit im richtigen Moment die wichtigen Leute aktiviert werden können. „Das ist unglaublich wichtig“.
So, wie der Wunsch eines sechzigjährigen krebskranken Gastes, noch einen Abend gemeinsam mit seinem Lebensgefährten und Campari auf dem Balkon zu vollbringen. Für den Mann, der stark unter Atemnot litt, sei das ein Kraftakt gewesen, berichtet sein Pfleger. Aber die beiden Männer verbrachten einen wunderbar sonnigen Nachmittag „wie in Italien!“. Am nächsten Vormittag verstarb der Gast völlig überraschend. Seinem Partner, der sich unter Tränen am Totenbett verabschiedete, habe diese letzte Positive Erinnerung so viel bedeutet, erzählt der Pfleger.
All diese Geschichten nimmt Landesbischof Christian Kopp nach einem langen Gespräch mit nach München. „Ich halte es für wesentlich, dass so ein Haus eine gute Begleitung hat – für Gäste, Angehörige und das Team.“ Auf der zwischenmenschlichen und einer anderen, übergreifenden Ebene. „Begleitung von Menschen am Lebensende gehört zu den Werken der Barmherzigkeit. Das gehört zu unserem Grundauftrag und ohne den gibt es christliche Kirche nicht.“ Ganz erfüllt ist Christian Kopp von seinen Begegnungen im Hospiz: „Die Gäste, mit denen ich sprechen konnte, waren voller Dankbarkeit für die liebevolle Unterstützung, die sie dort im Haus bekommen. Ich bin selbst beschenkt und dankbar.“
20.11.2024
Anne Lüters