Der ethische Kompass

Wir bleiben Funken, die das Feuer zum Lodern bringen.

Bild: iStock-phive2015

Der ethische Kompass

Die Kirche ignoriert nicht, dass tägliche politische Entscheidungen oft Kompromisse erfordern. Gleichzeitig ist es ihr Auftrag, an ethische Grundorientierungen der Gesellschaft zu erinnen. Das kann in schwierigen Abwägungen ein Kompass sein, sagt der Landesbischof.

Ich werde – gerade im Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage – immer wieder gefragt, ob wir es uns als Kirchen nicht zu leicht machen, wenn wir uns zum Anwalt der Moral erklären und der Politik die schwierigen Steuerungsfragen überlassen. Die damit verbundene pauschale Bezichtigung muss zurückgewiesen werden. Aber die Frage ist wichtig. Wir sollten sie uns selbst immer wieder stellen. Eine Aufgabenverteilung, nach der wir als Kirchen die Vertreter der Moral wären und dann auf die herabschauen, die jeden Tag als politisch Verantwortliche schwere Entscheidungen zu treffen haben und nicht selten in Dilemma-Situationen geraten, wäre eine faule Aufgabenverteilung und auch theologisch falsch. Denn es wäre fragwürdig, wenn wir bei unseren Forderungen nicht die Machbarkeit von politischen Entscheidungen und die Rahmenbedingungen miteinbeziehen würden. Das wäre zu einfach.

"Aber dass jeder Mensch auf dieser Erde verdient, in Würde zu leben, daran müssen wir immer wieder erinnern"

Heinrich Bedford-Strohm

Gleichzeitig ist es sicher Aufgabe der Kirche, stets aufs Neue an die ethischen Grundorientierungen unserer Gesellschaften zu erinnern, die unser Zusammenleben ausmachen. Das müssen dann keine detailliert ausgefeilten Konzepte sein, denn die Kirche ist ja keine politische Institution. Aber dass jeder Mensch auf dieser Erde verdient, in Würde zu leben, daran müssen wir immer wieder erinnern. Zuweilen kann dazu ein klares prophetisches Wort angebracht sein, das Nachdenklichkeit erzeugt. Ein solches prophetisches Wort ignoriert nicht die Schwierigkeit der täglichen politischen Entscheidungen, die Kompromisse erfordern.

Heinrich Bedford-Strohm

Cover des Buches Heinrich Bedford-Strohm: Funkenflug – Glaube neu entfacht

Funkenflug – Glaube neu entfacht

Der Traum: Ein christlicher Glaube, der wie ein Funke überspringt. Um Hoffnung zu verbreiten in einer Welt, die von Armut, Zerstörung, Terror und Krieg bedroht ist.

Bestellinformation:

adeo 2015
ISBN: 9783863340728

Im Gegenteil: Es will gerade in schwierigen Abwägungen ein Kompass sein, um Richtung zu halten. Die Zielrichtung des politischen Einsatzes für Gerechtigkeit ist nirgendwo eindringlicher beschrieben als im Buch des Propheten Jesaja. Am Ende des Jesaja-Buches kommt eine Vision von Gerechtigkeit zum Ausdruck, die zeigt, dass die vorrangige Option für die Armen nicht die einen gegen die anderen ausspielt, sondern am Ende die Grundlage für den Wohlstand aller ist: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen, und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. Wenn du in deiner Mitte niemanden unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Und der Herr wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken, und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.“

Wenn es stimmt, dass wir als Volk Gottes dazu berufen sind, Salz der Erde und Licht der Welt zu sein, dann stehen wir in der ersten Reihe, wenn es darum geht, dass diese Vision Wirklichkeit wird. Wir leben aus der Zuversicht unseres Glaubens und deshalb geben wir diese Welt nicht auf. Weil wir aus der Freiheit eines Christenmenschen leben, mischen wir uns ein. Weil Gottes Gegenwart unsere Kraftquelle ist, behalten wir den langen Atem. Wir bleiben Funken, die das Feuer zum Lodern bringen.